Zeit ist etwas, das sich in einer unablässigen Bewegung ständig neu definiert». Der Künstler scheint Heraklits berühmter Überlegung zuzustimmen, der zufolge man nie zweimal im gleichen Fluss baden kann, weil zwischen den beiden Bädern Mensch und Fluss nicht mehr die Gleichen sind. Ausgesetzt im Strom der provisorischen Realitäten, schwingt Melcher wie ein pendelnder Migrant vom Zeitpunkt Null in die Zeit der Uhren, die man zwangsläufig mitnehmen muss, wenn man mit seinem sozialen Umfeld im Einklang bleiben möchte. Wobei er zugibt, sein etwas abgeschiedenes Leben zu genießen. Der 1945 4 in Coire geborene Künstler verlässt 1975 Amsterdam und lässt sich an der toskanischen Küste in der Nähe von Siena nieder, um die italienische Renaissance zu studieren. An seiner ehrfürchtigen Bewunderung der Maestà von Duccio di Buoninsegna hat sich bis heute nichts geändert. Das im Museo dell’Opera entdeckte Altarbild in 42 Bildern und 26 Episoden über die Passion Christi ist an der Begeisterung des Künstlers für Comics nicht unbeteiligt – auch wenn diese zunächst in ihre Einzelteil zerlegt werden müssen, um andere Geistesblitze wiederzugeben. Denn von dieser Sanduhr, die «unweigerlich im Absurden mündet», möchte er nur die intensivsten Fragmente im Gedächtnis behalten. Etwa seinen ersten, im Alter von zehn Jahren mit Alberto Giacomettis’ Tête de Diego im Kunstmuseum Graubünden erlebten Schock: «Ein Profil, und vorne nichts – ein Gesicht, das aus dem Nichts kommt». Die jüngste Reihe der in Genf gezeigten Hommagen entspringt dem idealen oder noch zu beruhigenden Sprudeln, das ihn mit neun Künstlern verbindet. Da sind die seinen drei Freunden Johannes Gachnang, Markus Raetz und André Thomkins aus der niederländischen Zeit gewidmeten Werke und jene für Alberto Giacometti und Adolf Wölfli, die für ihn Vorbilder bleiben. Nicht zu vergessen die «reparierende», Dieter Roth gewidmete Collage, «die ich mit ihrer Ansammlung heterogener Elemente als unverdaulich eingestuft hatte, bevor ich mich der Größe des Werks beugen musste». Und, um Frieden zu schaffen, ein Emilio Vedova, dem großen venezianischen Protestler der 1960er-Jahre gewidmetes Werk, «obgleich er einen Hang zur Domination hatte, der für mich als junger Künstler in meiner Praktikumszeit bei ihm unerträglich war».
Die Ausstellung bei Anton Meier umfasst ebenfalls andere jüngere Werke, unter anderem ein Leonardo da Vinci gewidmetes Bild sowie großformatige Collagen aus den angehenden 90er-Jahren, als Melcher parallel zu seiner Malerei immer häufiger auf diese Technik zurückgriff. Der Galerist hat als einer der ersten in diese Kompositionen investiert. «Ich habe das Gefühl, dass der Künstler in diesem Bereich Revolutionäres geschaffen hat. Mir ist außer ihm niemand bekannt, der mit diesem Medium auf so kohärente Art und Weise arbeitet – sowohl auf Ebene des Rohstoffs und des Format als auch des formalen Gleichgewichts». Abseits der Erschütterungen, die das künstlerische Schaffen prägen, frei von jeglicher Absicht, die Vorhut aufzuschrecken, lässt sich Melcher weiter von der Zeitlosigkeit des Lebens bearbeiten. Ein beunruhigendes und weises Werk. Willkommen in den Turbulenzen einer Zeit, die wir ungeduldig durchqueren.
Gaspare O. Melcher: Suite Hommages vom 7. November 2013 bis 8. Februar 2014.
Galerie Anton Meier, Palais de l’Athénée,
rue de l’Athénée 2, 1205 Genève.
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Legenden:
Gaspare Otto Melcher, Jean Tinguely, Suite Hommages
1 André Thomkins
2 Markus Raetz
3 Adolf Wölfli
4 Alberto Giacometti
Gaspare Otto Melcher, 1945 in Coire geboren